Участието на "Праехидно в Международния театрален фестивал "Варненско лято" 2012 беше отразено в едно от най-престижните немски списания за театър
превод на откъса за "Праехидно":
"Театралният фестивал "Варненско лято" проучва планетата и открива застрашения вид 'човек'".[...] "Праехидно е малка, но отявлено нахално смела независима продукция, която най-пълно отразява това търсене". [...] "Заплаха, разрушение, смърт - рядко можем да срещнем толкова многопластов, поетичен и гневен разказ на чувството за безмощна обреченост на човека от нашето време, както в тази продукция, която съотнася личното и политическото, разпростирайки се на три континента"
Dorte Lena Eilers Theatrer der Zeit
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Das Theaterfestival Varna Summer
erkundet den Globus und entdeckt
die bedrohte Spezies Mensch
von Dorte Lena Eilers
Varna – eine Stadt am Rande Europas. Diese Aussage wäre
nicht weiter wichtig, beträfe sie nicht neben der Lage auch ein
Lebensgefühl. Gerade in der Vorsaison, wenn die Temperaturen
warm, aber nicht zu heiß, die Strände voll, aber nicht überfüllt
sind, herrscht in dem charmant bröckelnden Badeort an der bulgarischen
Schwarzmeerküste ein selbstvergessenes Gleichmaß.
Unter Sonnenschirmen und in Strip-Bars schlummern braungebrannte
Schönheiten vor sich hin, im Black Sea Casino spielen
Spielautomaten klickernd mit sich selbst. Die Sauftouristen des
bulgarischen Ballermanns werden erst später hier erwartet – ein
Ausblick, der vermutlich keinen in der Stadt euphorisiert. Denn
außer diesen Juxurlaubern kommen sonst kaum Leute ins Land.
Bulgarien wirkt wie vergessen. Und vergaß sich schließlich selbst.
Fremden, schreibt der Soioter Kulturanthropologe Ivaylo
Ditchev, komme Bulgarien derzeit wahrscheinlich verblüfend
provinziell vor. Es herrsche eine Ruhe, die im Alltag durchaus Vorteile
biete: Man sei weit weg von den Querelen in Brüssel, das
Lebe n selbstbestimmt und konzentriert. Was auf dieser Ebene
stimmen mag, ist für eine andere natürlich tödlich: für das Theater,
das diese Randlage massiv quält. „Besonders Ästhetik und
Wahrnehmung betrefend“, sagt Asen Terziev, Chefkoordi nator
des internationalen Theaterfestivals Varna Summer, „beindet
sich das hiesige Theater in einer Krise.“ Der Grund sei die Isolation,
man schaue kaum über den eigenen Tellerrand hinaus. Gerade
deshalb sei ein Festival wie der Varna Summer so wichtig.
Und wirklich: Dieses 1992 im Zuge der Umbrüche in Osteuropa
gegründete, zunächst rein bulgarische Theatertrefen entwickelte
sich – ähnlich wie die zur gleichen Zeit entstandenen Festivals
Divadelná Nitra (Slowakei), Divadlo (Tschechien) und Eurokaz
(Kroatien) – nach seiner Öfnung für internationale Produktionen
1997, angestoßen durch die neuen künstlerischen Leiter Tsvetana
Maneva und Nikolay Iordanov, zu einem quirligen Unruheherd im
Land. So kann das Festival heute in seinem 20. Jahr auf mehr als
490 gezeigte Produktionen zurückblicken, darunter 140 aus 36
Län dern von namhaften Regisseuren wie Castellucci, Signa und
Pete r Brook. Das ist sehr viel für ein so kleines und chronisch unterinanziertes,
da in seinen staatlichen Strukturen schwer korruptes
Land wie Bulgarie n, weswegen die Jubiläumsbroschüre in selbstbewusster
Abgrenzung – es geht auch anders! – in den bulgarischen
Farben Weiß, Grün und Rot die Netzwerke aulistet, die sich über
die Jahre zwischen dem Festival und Partnern z. B. aus Großbritannien,
Russland, Japan, Israel und den USA gebildet haben. Ein
Flechtwerk, das, graisch skizziert, wie ein globales Gradsystem
wirkt: welt umspannend, weit verzweigt und mit Bulgarien als wichtiger
Koordinate. Die Organisatoren sind stolz darauf. Zu Recht.
„P.O. Box Unabomber“, eine kleine, aber äußerst freche
Freie-Szene-Produktion von Zdrava Kamenova und Gergana
Dimitrov a, ist ein Stück, das diesen Gedanken am komplexesten
wider spiegelt. Gleich drei Erzählstränge verquirlen sich hier: der
Fall Ted Kaczynski, des US-Mathematikers und Bombenlegers,
dessen Manifest für die Würde des Menschen im Zeitalter der
Technologie die Autoren zitieren, eine Abhandlung über das Aussterben
des größten eierlegenden Säugetieres in Neuguinea, des
Zaglossus bruijni, und die Geschichte über eine langsam zerfallende
Familie. Bedrohung, Zerstörung, Tod – selten wurde das
Gefühl des hillosen Ausgeliefertseins des Menschen in unserer
Zeit so vielschichtig, poetisch und auch wütend erzählt wie in dieser
sich zwischen Politik und Privatem sowie drei Kontinenten
aufspannenden Produktion. Das technologische und ökonomische
System, schreibt Ted Kaczynski, sei darauf ausgerichtet, uns
abzurichten. Es transformiere unser Verhalten. Wer da nicht mitmache,
werde selektiert, ganz natürlich. Wo geht es also hin mit
uns? Auf die Rote Liste wie der Zaglossus bruijni? Und wie könnte
man sich wehren? Mit Bomben? Sicherlich nicht. Fragen, die bleiben:
bedrückend, schmerzhaft, verstörend.
Ja, wo geht es hin? Das bulgarische Theater, so die Theaterwissenschaftlerin
Kamelia Nikolova, traue sich dies kaum noch zu
fragen. Erst im vergangenen Jahr startete das Kulturministerium
einen seiner vielen ebenso verzweifelten wie verhängnisvollen
Versuche, den strukturell veralteten Bereich der darstellenden
Künste zu reformieren. Das Budget der Staatstheater ist nunmehr
komplett vom Kartenverkauf abhängig, vernünftige Produktionsgelder
bekommt nur der, dessen Haus auch voll ist. Die Folgen
sind klar: wenig Experimentelles, stattdessen angenehm Altbekanntes.
„Wogegen lehnt sich das zeitgenössische Theater derzeit
auf?“ – diese Frage, die als Überschrift über einer von Kamelia
Nikolova und Nikolay Iordanov initiierten Konferenz mit internationalen
Theatermachern und Journalisten stand, ist im bulgarischen
Kontext daher brennender denn je – und ein weiteres Beispiel
dafür, dass in Varna Leute sitzen, die gegen den Status quo
rebellieren. Auf eine kluge, sehr diferenzierte Art.
Denn Revolte, sagt der bulgarische Regisseur Javor Gardev,
habe ja immer das Problem, systemimmanent zu bleiben. In heutiger
Zeit also: marktkonform. So dass jeder Ausbruch zurück ins
System führt. Auch der „Hässliche“ in Marius von Mayenburgs
gleichnamigem Stück dachte, er könne rebellieren: gegen das
Machtsystem der modernen Arbeitswelt, die nur dem Smarten
Erfolg verspricht. Er ließ sich operieren und wurde einzigartig
schön – bis sein Gesicht in Serie ging und auch alle anderen aussahen
wie er. Javor Gardev hat diese etwas putzig-hutzelige Farce
verdüstert und in eine schräge Welt zwischen Zwanziger-Jahre-
Kabarett und russischem Retrofuturismus überführt. Die Bühne
(Venelin Shurelov) ist über und über mit schwarzen Federboas
behangen, wabernde Vorhänge, die vor- und zurückfahrend
Requisite n und Schauspieler ausspucken wie ein schwarzer
Schlund. Letztere wirken in ihren schweren Stiefeln unterm feinen
Frack wie Protagonisten eines Black Musicals. Der Putin
Horror Picture Show? Die Inszenierung zumindest stammt aus
Saratow im Südwesten Russlands. Die zwei gigantischen Lampen,
die kalt und stählern über der Szenerie hängen und alles
beleuchten, machen dabei unmissverständlich klar: Wer abweicht,
wird sofort entdeckt und in die Masse der Untergebenen
zurückgestopft.
Revolte als Aufstand der Masse? Das geschichtlich gebeutelte
Osteuropa schaut anders auf diese Formel, misstrauischer,
vielleicht klüger? Denn das Aufbegehren zeigt sich hier als Unterbrechung
des Konformen, als Ausdiferenzierung der Masse in
Individuen, als Zoom, so der Festivaltitel, auf den Menschen. Das
wird konkret in zwei Tanzproduktionen: „Zoom in“ von Violeta
Vitanova, Stanislav Genadiev und Venelin Shurelov und „Cadaver“
von Stanislav Genadiev und Martin Panev, die über die Beschäftigung
mit dem Menschen und seinem Muskelapparat dem
fremdgesteuerten, degenerierten Körper seine Eigenständigkeit
wiedergeben. Aber auch Silviu Purcarete, Rumäniens großer
Theatermagie r, trägt mit seinem bildstarken, irisierenden „Sturm“
von Shakespeare dazu bei. Prospero, das ist bei ihm der künstlerisch-
kreative Mensch, dessen Phantasie Welten erschaft, die
um so vieles schillernder, ungestümer, einzigartiger sind – „Wie
schön ist das menschliche Geschlecht!“ (Miranda) – als die tumbe
kichernde Hofgesellschaft um Antonio.
Vielleicht ist es das, was Ivaylo Ditchev mit „Provinz“ meinte:
die Möglichkeit, sich jenseits politischer Lenkung in seiner Einzigartigkeit
wahrzunehmen. Eine Selbstvergewisserung. Und
eben auch: Selbstermächtigung. Der erste Schritt, um auch als
Bürger zu sagen: So nicht! //
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